Wenn sich der Kreis zu schliessen beginnt

Dieses Jahr durften wir zu dritt die Schweiz an der Segelkunstflug-Weltmeisterschaft in Oschatz repräsentieren. In der Kategorie Advanced traten Pascal Zollikofer und Christian Syfrig an. Ich trat als Einzelkämpfer in der Königsklasse „Unlimited“ an. Geleitet wurde das Team von Sarah Caminada, mit den Helfern Sandro Fankhauser und Nico Müller.

Teamfoto am Vorabend der Anreise

 Aus vorherigen Jahren lernten wir, dass es sich lohnt, möglichst früh mit den Vorbereitungen zu beginnen. Im Grunde begann das schon im Herbst, als wir mit den Segelfliegerinnen Kunstflüge durchgeführt haben. Denn da konnten wir Sarah so für den Kunstflug begeistern, dass sie uns kopfüber anbot, den Teamcaptain an der WM zu sein. Anschliessend an die Winterarbeit an unseren Flugzeugen besprachen wir im Team die Erwartungen und Ziele und ließen uns von Jochen noch einige Tipps mit auf den Weg geben. Nachdem ich vor zwei Jahren den dritten Platz ergatterte, wollte ich nun den Weltmeistertitel nach Hause bringen. Ambitioniert, aber nicht ganz unrealistisch?

Das Training bestand hauptsächlich aus drei Elementen: Dem SAGA-Cup in Schänis, dem Trainingslager in Walldürn mit den deutschen Kollegen und weiteren Flügen am Heimatflugplatz in Amlikon. Kein schlechter Start: Denn durch den Wettkampf in Schänis stieg die Vorfreude und Motivation, im Trainingslager konnte ich das fliegerische Handwerk verfeinern und “Zuhause” als Hausaufgabe noch den Gesamt-Stil schleifen mit unbekannten Programmen.

Die Anreise nach Oschatz ging flott – gut 9 Stunden brauchen wir. So blieb genügend Zeit, um uns zu registrieren und das Airbnb zu beziehen. Auf den darauffolgenden 3 Trainingstagen konnten wir alle 6 Trainingsflüge machen, um uns mit der Umgebung vertraut zu machen. Die Kunstflug-Box ist genial markiert und nicht so verwirrend mit querverlaufenden Pisten wie in Issoudun vor zwei Jahren…

Die Schweizer Piloten fahren auf: Pascal Zollikofer, Christian Syfrig, Jonas Langenegger

Generell ist die Organisation grandios: Alle Nationen bekamen für die Eröffnungsfeier ein schickes deutsches Fahrzeug, um im Schritttempo in die Innenstadt zu fahren und den Abendverkehr lahmzulegen. Nach den üblichen Reden von Bürgermeister, Jury-Präsidenten und OK-Präsidenten gings über zu Apero, Eröffnungsbriefing und Auslosung der ersten Startreihenfolge. Mit der gezogenen Startnummer “20” kann ich zufrieden sein.

Programm 1 (Free Known)

Nun war eigentlich alles bereit für den Start in den Wettkampf – ausser – das Wetter. Die Wolken waren entweder zu tief und in der Kunstflugbox oder es gab Niederschlag. So zerrte es doch recht an den Nerven, bis ich endlich am dritten Wertungstag, Samstag, fliegen durfte. Das kam wiederum auch gelegen – denn es gab an diesem Wochenende einen Live-Stream der Flüge mit Kommentatoren. Dies war insbesondere für Angehörige zuhause interessant. Mein Flug begann gut – doch bei meinem Höhen-Check bereits nach der vierten Figur musst ich feststellen, dass ich schon 50 Meter tiefer war als meine minimale gewünschte Höhe. Es war klar, ich musste überall, wo nur möglich Energie sparen. Einzig beim Looping mit der gerissenen Rolle ging ich wie sonst mit 250 km/h rein. Ich hatte den Eindruck, dass es kein ausserordentlicher Flug war – aber solide. Moritz hat dabei meinen Flug in der Live-Übertragung kommentiert und mit “oberes Mittelfeld” eingestuft. Es reichte für den vierten Tagesrang. Obwohl ich somit die erste Medaille verpasst hatte, war ich zufrieden mit dem Resultat. Aus mehreren Gründen: Ich wusste, dass ich ohne das Höhenproblem noch präziser hätte performen können, die grössten Konkurrenten (Maciej, Moritz in Michael) noch in Reichweite waren und die Bewertungen der Punktrichter sich auch mit dem gesehenen aus meiner Perspektive im Gross und Ganzen deckten. Ich bin also wirklich bei den Top-Piloten angekommen!?

Hier findet ihr den Link zur Aufzeichnung der Liveübertragung (Mich findet ihr bei 07:43:00

Nun ging alles Schlag auf Schlag: Das zweite Programm, also ein unbekanntes Programm, musste möglichst schnell im Detail geplant und verinnerlicht werden. Gleichzeitig musste ich aber auch die “Free Unknown” aus gegebenen sieben Figuren zusammenstellen. Früher konnte man auch einfach einen Vorschlag der Konkurrenz nehmen, doch neu muss jeder Pilot eine eigene Version fristgerecht einreichen. Das macht es schwieriger für Einzelkämpfer, da man sich nicht anderen Leidensgenossen austauschen kann. Doch ich hatte Sandro dabei, sodass wir innert Kürze 8 Programme zusammengestellt hatten, wobei nach unserem harten Auswahlverfahren nur noch zwei Versionen übrigblieben. Den finalen Hinweis kam von Jochen, dass ein mutiges, weniger konventionelles Programm Eindruck machen kann, wenn es denn exakt präsentiert wird. Wer mich kennt, kann sich vorstellen, dass ich nach etwas zögern dann auch jenes auswählte: Es beginnt nicht nur im Rückenflug, sondern endet auch invertiert…

Programm 2 (1. Unbekannte)

Doch nun zurück zum Flug zwei. Das Programm hat nicht allzu viele Fallen, nur bei einer Figur musste man mit ordentlich Fahrt rein, damit alles aufgeht. Heisst dann aber auch, dass es umso mehr auf die Feinheiten ankommt bei so einem Flug. Ich war wieder einmal mehr am Schluss dran während starker Thermik-Aktivität. Ich befürchtete schon, wieder die Abwinde statt Aufwinde zu erwischen. Doch glücklicherweise kam es dieses Mal anders, sodass ich direkt unter einer frischen Cumulus-Wolke starten konnte – gut, allenfalls hätte ich mir erlaubt, mich ein weiteres Mal durch die Box schleppen zu lassen. Doch dann verlief alles wie geplant, ich hatte ein gutes Gefühlt! Noch erfreulicher war, dass Moritz fand, dass dies (mit Abstand) der beste Flug war bislang. Der Best wars dann aber doch nicht ganz – Moritz selbst hatte 3 Punkte mehr als ich und wurde somit Tagessieger direkt vor mir. Toll!

Programm 3 (Free Unknown)

Ich fand nun noch mehr Selbstvertrauen in meinem, verhältnismässigen, weichen Flugstil. Dies nahm ich gerne mit auf den dritten Flug. Siehe da – der Plan ging perfekt auf. Die anspruchsvollere und eindrucksvollere Sequenz wurde honoriert. Belohnt wurde der Flug mit dem Tagessieg, diesmal vor Moritz und Maciej. Ich fühlte mich gut nach dem Flug – und das vor allem auch nach dem Abwackeln auf dem Rücken mit minimaler Fahrt ohne einen Strömungsabriss :-)) PS: Das zeigt sich meistens mit einem lauten entlastenden Schrei im Cockpit…

Hier findet ihr noch das (etwas verwackelte) Video, das an der Judge-Line verwendet wird, wenn die Punktrichter etwas zu besprechen haben:

Programm 4 (2. Unbekannte)

Es geht weiter – Zeit für anderes bleibt nun kaum mehr. Erstaunlich wie man beschäftigt ist den ganzen Tag für gerade mal 3 min Höchstkonzentration. Das Programm vier passt gut harmonisch zusammen. Die Ein- und Austrittsgeschwindigkeiten sind wie abgestimmt und ergeben sich von alleine. Der Merkpunkt lag also für mich umso mehr auf den teuren Figuren, die müssen passen: Das sind der Rückentrudler im P-Loop, das Männchen mit einer Viertel-Rolle aufwärts (vor mir vorgeschlagen), und einem doppelten Rollenkreis. Der Flug verlief eigentlich ganz ordentlich, doch der Rollenkreis war einfach ungleichmässig gerollt und verteilt auf die 180° Richtungsänderung! Und auch mein Männchen stand eher auf Sicherheit mit leicht hängender Fläche. Dies wurde mir nach dem Flug auch gleich ohne Verlangen bestätigt. Das “Instant-Feedback” von mir ist dem WhatApp-Verlauf mit Jochen zu entnehmen: “Hm, war solide, aber hätte scho etwas besser sein können. RK am Schluss war leider nicht soo doll 😐 Rest denke ok”. Und dann kommen die Resultate: Unglaublich – noch ein Tagessieg!! Ich freue und ärgere mich gleichzeitig: Den grössten Teil der Figuren müssen die Punktrichter richtig überzeugt haben – und gleichzeitig hätte ich mich in der Gesamtrangliste noch besser positionieren könne, hätte ich den Rollenkreis besser geflogen… Hätte, hätte, Fahrradkette… Jedenfalls hat mich die Eigenwahrnehmung wieder einmal auf dem falschen Fuss erwischt! Nur weil ich unzufrieden war mit der eigenen Ausführung bei der letzten Figur, heisst das noch lange nicht, dass die restlichen acht Figuren schlecht waren.

Programm Nummer 5 (3. Unbekannte)

Nun bin ich nur noch gut 32 Punkte hinter dem Gesamtranglistenführer Maciej aus Polen. Das ist gerade etwa so viel, wie ich ihm im Schnitt über die letzten drei Flüge jeweils abnehmen konnte. Die logische Aufgabe klingt darum einfach: Genau so weitermachen – aber nicht auf die Gesamtplatzierung schauen! Das ist etwas, das mir eigentlich ganz gut gelingt im Normalfall… Beim Programm 5 habe ich mich mit der Vorbereitung aber mit Abstand am schwersten getan. Ich musste mich entscheiden, ob ich die mittlere Quersequenz auf die Punktrichter zu fliegen will und dafür die ¾ gestossene Rolle entgegen meiner normalen Stossrichtung ausführen will – oder aber die Quersequenz weg von den Punktrichter (was eine schlechtere Positionsnote zur Folge hat) fliege und dafür die gewohnte, intuitive Steuerkoordination ausführe beim Stossen. Ich entschied mich für die erste, “all-in” Variante. Denn wenn beide Varianten perfekt geflogen werden, dann holt man mit der ersten mehr Punkte! Also habe ich mir gefühlt 1000x den Steuerablauf mental überlegt und am Bode getanzt. So muss das doch gehen! Des Weiteren waren die Windbedingungen sehr anspruchsvoll. Meine Hauptkonkurrenten flogen alle noch am Abend, während es für mich nicht mehr reichte und ich am nächsten Morgen fliegen musste. Der Wind war am Abend schon ziemlich stark, vielleicht 7 m/s. Doch bei mir, um 11:00, sollten es gemäss Prognosen bis 9 m/s sein. Tja, das ist gerade noch in den Limiten. Also musste ich mich damit abfinden und das Beste daraus machen. Glücklicherweis hatte ich noch ein paar Piloten vor mir, bei welchen ich schauen konnte wie sich die Figurenabfolge in die Box quetschen lässt. Die Antwort war für mich klar: Es lässt sich einfach nicht alles in der Box fliegen. Die einen sind z.T. die letzten Figuren so weit “Downwind” geflogen, dass die Punktrichter wohl kaum mehr die Figuren bewerten konnten. Ich entschied mich also, bewusst viel ausserhalb der Box (luvseitig) zu beginnen, damit wenigstens die Figuren für die Judges gleichemässig links und rechts verteilt sind. Das hat etwas Nerven gebraucht, im Schlepp so spät zu klinken. Doch es passte: Soviel wie ich ausserhalb begonnen hatte links, war ich rechts draussen. Auch das Stossen hat sauber geklappt. Somit war auch diese Entscheidung richtig. Doch leider kam der Rückenturn nicht gut. Ich habe den einfach viel zu wenig vorgespannt und entsprechend viel er “in sich” – eine saumässig teure Figur. Mir blieb damit der dritte Platz. Gleich 86 Punkte verlor ich gegenüber Maciej und 49 gegenüber Moritz. Sehr schade, aber ich konnte hier einfach nichts mehr machen während der Flugvorbereitung, weshalb ich eigentlich trotzdem zufrieden war mit dem Resultat. Die Umsetzung meines mentalen Trainings hat gepasst, insbesondere beim Stossen und der Korrektur des Windes. Was fehlte, war effektiv das vorgängige Training des Rückenturns und somit auch das Selbstvertrauen, die Figur zu beherrschen (v.a. wenn man sie beim letzten Trainingsflug noch ausprobiert und verbockt…).

Die grosse Frage war nun: Gibt es noch einen sechsten Flug – oder doch nicht? Denn es bleibt nur noch der Freitagnachmittag und allenfalls den (nur zur Not vorgesehenen) Samstagvormittag vor der Siegerehrung. Die “Kurzfassung” dieser Achterbahnfahrt ist: 

  • Die Unlimited fliegt den Durchgang am Freitagnachmittag
  • Die Klasse muss gesplittet werden, nur die vordere Hälfte der Zwischenrangliste muss zum sechsten Flug antraben
  • Es wird nicht mehr geflogen am Freitag, der Wind ist zu stark und der Sonnenstand ungünstig für die Punktrichter
  • Es wird mündlich verkündet, dass es keinen sechsten Flug geben wird
  • Schriftlich wird später bekannt gegeben, dass am Samstagmorgen doch gesplittet geflogen wird
  • Am Briefing am Samstagmorgen wird abgestimmt, ob noch geflogen werden soll – die Mehrheit sagt Nein.
  • Die Jury entscheidet sich dagegen – es wird trotzdem geflogen
  • Die ersten zwei Piloten starten und brechen ab, weil sich Wolken in der Box bilden
  • Der sechste Durchgang wird abgebrochen, die Wolken verunmöglichen es

Ich könnte und sollte noch einiges erläutern, doch bleibt mir nur noch zu sagen: Ich bin froh, hat das Wetter die Entscheidung gefällt. Nicht, weil ich so meinen zweiten Platz auf sicher hatte, sondern weil der letzte Durchgang zu emotional geladen gewesen wäre für einen fairen Ausgang des Wettkampfes. Da haben die Wettkampfleitung und Jury leider einen ordentlichen und unnötigen Dämpfer eingefahren. So nahe war es dran, die beste WM seit Jahren zu werden…

Airshow-Feeling dank Rauch und Musik am Freestyle-Wettkampf

Dafür konnte das OK mit einem inoffiziellen Freestyle Wettkampf richtig punkten: Fünf Piloten, darunter ich, demonstrierten den vielen Zuschauern eine individuelle Choreografie mit Rauch und Musik. Es war ein Abschluss, der allen Beteiligten Freude bereitete; ob Zuschauer, Pilot, Punktrichter oder Helfer.

Die Rangverkündigung wurde im Zelt mit den Zuschauern gefeiert. Dabei konnte ich gleich den gesamten Medaillensatz abstauben: 

  • Silber in der Gesamtwertung 
  • Gold in der Free Unknown
  • Bronze über alle Unknown
Podest des Free Unkown Programmes, Kategorie Unlimited:
Moritz Kirchberg (Silber), Jonas Langenegger (Gold), Maciej PospePospieszyński (Bronze)
Das Podest der Gersamtwertung, Kategorie Unlimited:
Jonas Langenegger (Silber), Maciej Pospieszyński (Gold), Moritz Kirchberg (Bronze)

Gefeiert wurde anschließend in ruhiger Atmosphäre in einem schön hergerichteten Festsaal in Riesa mit Apero und Nachtessen. Danach ging es mit dem Car wieder zurück auf den Flugplatz, wo die lokale Bevölkerung die Party bereits einläutete und später alle mit einer tollen Drohnen-Show verzaubert wurden.

Erfolgreiches Schweizer Team nach der Siegerehrung 💪

Obwohl ich mein Ziel knapp verfehlt habe, bin ich unglaublich glücklich mit dem Vize-Weltmeistertitel. Ich kann es selbst noch nicht richtig fassen, dass ich tatsächlich an der Weltspitze angekommen bin. Vielleicht hat es sich in diesem Fall mal gelohnt, dass ich oft erst im Nachhinein realisiere, welches Glück mir eigentlich widerfahren ist. So konnte ich mein Ding fliegen, ohne mich selbst zu fest unter Druck zu setzen. Ein grosser Dank geht an das gesamte Schweizer Team, insbesondere an Team Captain Sarah und meinen ersten Helfer Sandro. Weiter bin ich Jochen unglaublich dankbar für die Förderung, Unterstützung und Motivation seit meinen ersten Schritten im Segelkunstflug, bis heute. Dies und einige weitere Puzzleteile haben mich so weit gebracht. 

Hier noch die Links zu den Resultaten:

Drei, zwei, … geschlossen ist der Kreis noch nicht ganz. Doch die Motivation ist noch mindestens so gross wie vor der ersten Weltmeisterschaft.

Jonas Langenegger


Kommentare

2 Antworten zu „Wenn sich der Kreis zu schliessen beginnt“

  1. Avatar von Béatrice Echter
    Béatrice Echter

    Hallo Jonas, gratuliere, der Bericht ist sehr interessant formuliert, man geniesst die vielen Momente beim Lesen und wird in den Wettbewerb integriert.

    1. Danke vielmals Beatrice! 🙂

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